Reise in die Vergangenheit

» gepostet am Datum02.04.07 um Zeit19:42 Uhr

Fred ist betrunken. Er ist übertrieben fröhlich, lacht, freut sich. Zugegebenermaßen noch kein zwingendes Zeichen für erhöhten Alkoholkonsum, aber der Palmweingeruch, der von ihm ausgeht, lässt sich doch nur schwer leugnen. Aber das ist in Ordnung. Schließlich ist heute Sonntag, der Tag des Herrn, vormittags wird nicht gearbeitet, sondern gebetet. Und in Freds Fall eben getrunken. Was soll er auch machen, wenn sein Dorf nun mal den besten Palmwein in der Umgebung produziert. "Which country?", fragt er mich mit wehender Palmweinfahne. "Germany", erwidere ich, "Oh, then you are my brother!", sagt Fred und lacht und freut sich.
Wer Fred so genau ist, hab ich nicht rausgefunden, jedenfalls lebt er im Dorf Afegame, nahe der Wli-Wasserfälle, den höchsten und angeblich schönsten Wasserfällen in ganz Ghana. Und in diesem Dorf wird eben auch Palmwein produziert, von dem wir auch eine kleine Holzschale kosten. Schmeckt wie eine Mischung aus Bier und Sekt, gemischt mit ein wenig Holzgeschmack von der Trinkschale und einer weiteren, undefinierbaren Note. Für mich persönlich nicht eben mein neues Lieblingsgetränk, aber Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden. Und Fred scheint es zu schmecken.

Es gibt zwei Wli-Wasserfälle, einen großen und einen kleineren. Auf unserem Wochenendtrip haben wir nur den kleinen besichtigt, der aber auch schon stolze 60 Meter in die Tiefe fällt. Laut unserem Führer ist der größere Wasserfall ganze 400 Meter hoch, wie verlässlich solche Informationen sind, weiß man aber nie so genau. Jedenfalls waren uns knapp drei Stunden wandern und klettern, um zum Wasserfall zu gelangen, zu viel. Und der "kleine" war auch schon beeindruckend. Sehr atmosphärisch auch. Jedenfalls, bis eine Gruppe von etwa 25 amerikanischen Touristen kam, sich die Kleider vom Leib riss und kreischend und kichernd unter den Wasserfall stürmte.

Den Ausflug zu den Wli-Wasserfällen unternimmt man am besten von Hohoe aus, einer kleinen Stadt im Osten Ghanas, wenn auch die Bezeichnung "Dorf" eher passen würde. Eine Chop Bar ist schon schwer zu finden, auch nach den normalen Kopfhändlern hält man teilweise vergeblich Ausschau. Als Ausgangspunkt für Ausflüge in die Umgebung ist es allerdings ideal. Von den Wli-Wasserfällen abgesehen, gibt es noch ein oder zwei Kente-Dörfer zu besichtigen. "Kente" ist der Name für eine Art afrikanischen Schal, der in eben solchen Kente-Dörfern hergestellt wird. Hier webt dann quasi jeder - schon mit sieben Jahren lernen die Kinder die Kunst des Kente-Webens. Es gibt unzählige, verschiedene Designs, die alle eine Bedeutung haben, wenn selbige auch noch so abstrus ist.

Als ich neben einem etwa zehnjährigen Kenteweber-Kind stehe und ihm zusehe, wie es in einer rasenden Geschwindigkeit und mit bewundernswerter Genauigkeit einen Kente webt, muss ich daran denken, dass ich kürzlich über die Anschaffung eines Smartphones mit WLan, Bluetooth und UMTS nachgedacht habe. Ein Stück weit ist eine Reise nach Ghana auch eine Reise in die Vergangenheit - Accra spiegelt unser Leben vor etwa 20 Jahren wider, ein solches Kente-Dorf könnte aber auch locker im Mittelalter angesiedelt sein. Nur ohne Ritter. Und ohne Hexenverbrennung. Ihr wisst, was ich meine.

Mittlerweile fällt der Strom in Accra jeden zweiten Tag aus. Die Zeitungen sind voll von "energy crisis" und äußern sich der Regierung gegenüber nicht eben wohlwollend. Ein weiteres Problem ist, dass sich Stromausfall und Wasserknappheit gegenseitig bedingen. Ist kein Wasser da, kann der Volta-Staudamm nicht genug Strom produzieren. Ist kein Strom da, kann kein Wasser zum Verbraucher gepumpt werden. Aber es geht auch ohne Strom. Und zur Not auch mal ohne Wasser. Auch wenn es angenehmer ist, beides zu haben.

Unterdessen hab ich auch dem Koalamarkt einen Besuch abgestattet und mich in einem europäischen Paradies wiedergefunden. Gatorade, Schweppes, Volvic, Rauch Fruchtsäfte, Lipton Icetea, Nescafe. Tortellini, Barilla, Erbsen, alle erdenklichen Saucen, Oliven, Spargel, Brombeeren, Calamari, saure Gurken und Sauerkraut von Hengstenberg, Fischstäbchen, Pringles mit zugehörigem Dip, Kapern, Fleischbällchen, Schinken, Würzmischungen für Chili con Carne, Spaghetti Bolognese und Pfeffersteak, Burgerfleisch, Pistaziennüsse, Kekse, Salzstangen, Pudding, Butter, Cornflakes, Philadelphia, Mandeln, Walnüsse, Corny, Haribo, Lutscher, Paprika, Kiwis, Lauch, Rettich, M&Ms, Milkyway, Rittersport, Smarties, Ferrero Rocher, Milka, Schwartau, Nutella. Und mittendrin ich samt Visakarte. Was ich alles gekauft habe? Nun - nichts. Warum nicht, kann ich auch nicht so genau sagen. Vielleicht haben all die Leckereien ihren Reiz verloren, wenn sie so einfach zu haben sind. Oder sie passen einfach nicht hierher. Vielleicht haben mich auch die vielen, stark touristisch angehauchten Weiße abgeschreckt. Ich weiß es nicht. Aber schön zu wissen, dass man theoretisch all das haben könnte.

Am Wochenende ist bekanntlich Ostern, ein Fest, das in einem religiösen Land wie Ghana natürlich zelebriert wird. Ich selbst plane einen Ausflug nach Kumasi, eine mittelgroße Stadt, zentral in Ghana gelegen. Dort sollen dieses Wochenende die 75. Ghana Golf Open stattfinden, ein Event, das ich mir natürlich nicht entgehen lassen will. Und vielleicht lässt sich darüber ja auch schreiben. Vorausgesetzt, ich komme heil in Kumasi an, finde den Golfplatz, darf überhaupt zusehen und komme auch wieder nach Accra zurück. Von Kumasi aus gibt es auch noch einen anderen Wasserfall zu besichtigen, den Kintampo-Wasserfall, etwas breiter und mächtiger als der Wli-Wasserfall. Den würde ich mir auch noch gern ansehen. Immer vorausgesetzt, ich bekomme die Organisation hin. Aber wird schon klappen. Wenn nicht - Ostern kann man schließlich überall feiern. Und wenn es in einem kleinen, mittelalterlich angehauchten Dorf ist.





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