Ein kleiner Ghanaer

» gepostet am Datum13.03.07 um Zeit18:57 Uhr

Es ist vier Uhr nachmittags. Halb sitzend, halb liegend lasse ich mir auf einer Art Liegestuhl unter unserer Hauspalme die afrikanische Sonne auf meinen Stonebeerbauch scheinen. "Release - stress and pressure make me freeze, gimme some sunshine and peace" singen Seeed direkt in mein Ohr. Ich rauche eine "London"-Zigarette für 700 Cedis, eine Schüssel Bananen-FanIce-Erdnuss-Split habe ich bereits hinter mir. Während die Sonne unseren kleinen Garten langsam in orangenes Licht taucht, denke ich über Gott und die Welt nach. Allem voran aber über die Welt.

Das europäische Leben, Stress und Hektik scheinen ferner denn je. Ich kann mir kaum noch vorstellen, wie das war und ist, damals, in Europa, diesem weit entfernten Kontinent, mit Regen und Temperaturen unterhalb der 25 Grad, mit Lernen und Arbeiten und Projekten und Erledigungen. Natürlich muss ich auch hier arbeiten und hin und wieder mal Erledigungen machen, und mit Sicherheit ist die Arbeit für mich als Praktikant nicht so hart wie die eines ausgebildeten ghanaischen Redakteurs; aber es ist doch etwas anderes. Etwas ganz anderes.

Gestern Nachmittag klingelt mein Handy, eine SMS von Emile. Emile ist gebürtiger Beniner, lebt aber schon seit zwei Jahren in Ghana. Vor etwa zwei Wochen hat mich Emile auf dem Heimweg von der Enquirer-Redaktion angesprochen, wir haben Nummern ausgetauscht, waren seitdem zusammen am Strand und auf einer Geburtstagsparty eines Freundes von ihm. Nun will er sich heute Abend mit mir treffen, es sei wichtig, schreibt er. Ich frage ihn, was so wichtig ist, dass er es mir nicht per SMS mitteilen kann und befürchte bereits die Zwangsheirat mit seiner Schwester. Doch nichts dergleichen: Er will nach Europa umziehen.

Und so sitzen wir auf der Dachterrasse eines Spots, von dem aus man einen tollen Blick über das Nachtleben am Circle hat. Auf dem Tisch zwischen uns stehen zwei große Flaschen Star Beer, die großen Flaschen werden "Boss" genannt, die kleinen heißen "Secretary", so viel habe ich gelernt. Emile scheint etwas unwohl zu sein, er weiß nicht so recht, was er will, wo er anfangen soll.

Ghana gefällt ihm nicht so gut, Benin auch nicht, es ist zu heiß, man hat zu wenige Möglichkeiten, es ist schwer, einen gut bezahlten Job zu finden. Ich versuche ihm zu erklären, dass man in Europa die Spitzenpositionen auch nicht nachgeworfen bekommt, dass er Europa nicht kennt, dass er eine Unterkunft braucht, Startkapital und ich ihm nichts von alldem bieten kann. Emile versteht, wenn auch widerwillig, ich rate ihm zu Frankreich, wo er französisch doch schon perfekt beherrscht, doch er muss viel über das Land lesen, sich alles gut überlegen, sich absichern.
Ich versuche ihm zu erklären, dass sein Leben hier nicht das schlechteste ist und tue mich gleichzeitig schwer, ihm Vorteile von Europa zu nennen. Bessere medizinische Versorgung, bessere Infrastruktur, besserer Lebensstandard, wobei letzteres schon wieder relativ zu betrachten ist; Emile zweifelt noch. Das Leben in Ghana ist entspannter, die Menschen sind freundlicher, offener, nicht nur Weißen gegenüber, wie ich inzwischen erfahren habe. Ich erzähle ihm das nicht, damit er ja in Ghana bleibt, ich erzähle ihm all das aus Überzeugung, aus meiner Erfahrung, weil ich beide Seiten kenne und nicht sicher bin, ob er in Europa glücklich wäre.

Europa ist für viele hier in Ghana ein Wunschtraum, wo das Geld auf der Straße liegt, man leicht einen Job bekommt und irgendwie alles besser ist; soweit das europäische Bild in der ghanaischen Vorstellung, weitestgehend zumindest.

Doch mir drängen sich inzwischen Fragen auf, die bisher noch nicht so präsent waren. Wozu soll ich studieren, drei Jahre lernen, um dann ein Leben lang von Montag bis Freitag von 8 bis 17 Uhr zu arbeiten, um ein Leben zu haben, das ich bei weit weniger Stress, Aufwand, dafür aber mit permanentem Sonnenschein, netten Menschen und Freundlichkeit auch in Ghana haben kann? Natürlich ist das eine Idealvorstellung und das Leben, das ich hier lebe, spiegelt nicht die Realität wider, wie es sein könnte, wenn ich hier zu leben anfinge. Vielleicht als Webdesigner. In einem kleinen Häuschen, für 500.000 Cedi im Monat, mit Yogo und Pure water in Beuteln.

Als Emile mit seinem Boss-Star-Beer fertig ist, scheint er schon gut angetrunken zu sein, um nicht zu sagen: Total hinüber. Er torkelt die Treppe hinunter, ich bezahle meine zwei Bier, er fragt "How much is it?", der Kellner antwortet "35.000", Emile fragt "So what did he pay?" und zeigt auf mich, "20.000", antwortet der Kellner, "So its 5.000 left?", fragt Emile, "No, its 15.000", erwidert der Kellner geduldig, Emile versteht, langsam zumindest, kramt zwei Scheine hervor, gibt sie dem Kellner und torkelt nach draußen.
So kommt es, dass ich mir alleine ein Taxi suchen muss, das mich für 20.000 nach Hause bringt. Nach Hause, wo noch ein paar ghanaische Freunde von anderen Hausbewohnern stehen, mit denen ich mich kurz über Gott und die Welt unterhalte, kurz in Fünfte-Klasse-Englisch über die Evolutionstheorie radebreche und schließlich doch ziemlich erschöpft ins Bett falle, oder vielmehr steige, in ein Hochbett zu fallen erweist sich als doch eher schwierig.

Man könnte hier an der Goldküste stundenlang, tage- und nächtelang über verschiedene Lebensweisen nachdenken, man hat vor allem auch genug Zeit dazu. Und so kommt es, dass in mir inzwischen auch ein Ghanaer wohnt, dem das Leben hier unheimlich gefällt, der gerne hier ist, der hier bleiben möchte. Gleichzeitig will der Europäer Housemusik, ein Schnitzel mit Pommes und ein Schaumbad nehmen.

Heute abend dürften aber beide zufrieden sein. Denn heute gehts nach Osu, das Reichenviertel von Accra, in das Restaurant "El Gaucho", ein Steakhouse. Nicht eben billig, aber man muss sich ja auch mal was gönnen. Carl, ein Schwede, der auch bei Enquirer gearbeitet hat, fliegt morgen nämlich zurück in seine Heimat. Und so ist es doch nur recht und billig, dass er sich vorher nochmal ein europäisches Steak gönnt. In ghanaischer Lebensweise. Wenn das mal gut geht.





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