Ghana ist fünfzig

» gepostet am Datum08.03.07 um Zeit09:43 Uhr

Für mich beginnt der Independence Day schon früh morgens, um 5 Uhr. Um 7.30 Uhr soll ich in meiner Redaktion sein, wenn auch "Redaktion" ein sehr überbewerteter Begriff ist, trifft er doch den Kern der Sache. Und da die Straßen an diesem Morgen besonders überfüllt sind, wie ich angenommen hatte, wollte ich lieber früh los.

Schulkinder

Aber Pustekuchen. Es ist überhaupt nichts los. Auf den ersten Metern zur Trotro-Station habe ich noch das Gefühl, irgendetwas liegt in der Luft, ein Gefühl von Gemeinschaft, ganz Ghana feiert etwas zusammen, ein wenig so wie am Morgen des Deutschland-Italien-Spiels letzten Jahres, aber darauf wollen wir jetzt nicht weiter eingehen. Doch Accra verhält sich ruhig, hier und da weht mal eine Flagge, doch die Einwohner sehen aus wie immer, Schmuck in Nationalfarben ist eine Seltenheit.

Um 6.30 Uhr komme ich in der Redaktion an, eine geschlagene Stunde zu früh; aber der Nachrichtenredakteur ist schon da. "We go to Circle and take some pictures", sagt er, und ich komme gerade vom Circle, und dort ließ eigentlich nichts darauf schließen, dass heute irgendetwas Besonderes sein sollte. Aber vielleicht brauch das nur Zeit, denke ich.

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Am Circle angekommen, sieht alles noch genauso aus wie immer. Ein paar Flaggen mehr als sonst, ein paar Fußgänger mehr als sonst, doch mehr hat sich nicht geändert. "Take a picture of the crowd", sagt Godfred, der Nachrichtenredakteur, ich frage mich, wo denn die Crowd sein soll, take aber ein picture, und noch zwei mehr, und es geht zurück in die Redaktion. Ich schreibe einen kleinen Artikel darüber, wie ich den Independence Day erlebe, obwohl ich ihn eigentlich noch gar nicht erlebt habe, dann soll ich den Tag genießen, sagt Godfred.

Überall ist heute Party, hieß es, bisher habe ich aber noch nicht einmal eine kleine Feierlichkeit entdeckt. Meine letzte Hoffnung ist der Independence Square, an dem der Präsident und seine Minister einige Reden halten sollen, vielleicht ist da ja mehr los, also erstmal ins Trotro zum Circle, dann die richtige Station gesucht; und ab gehts Richtung Independence Square.

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Auf dem Weg dorthin entdecke ich erste Menschentrauben, die sich in den Nationalfarben geschmückt haben, "Ghana @ fifty"-Shirts tragen, Mützen aufgesetzt oder sich die Flagge umgehängt haben. Ein wenig wie bei der WM letzten Jahres, wenn auch vom Ausmaß her bisher eher Pforzheim-Niveau, als das einer Zwei-Millionen-Hauptstadt. Doch noch bin ich ja nicht am Independence Square.

Das Trotro hält einige Blocks vom Independence Square entfernt, ich war in dieser Gegend noch nie, doch es ist unschwer zu erkennen, wohin es geht; mittlerweile pilgern wahre Menschenmassen in Ampelfarben gemeinsam in eine Richtung. Ich schließe mich Ihnen an und versuche, als weißer, mit riesiger Kamera und Ghana-Flagge, mich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Ein Versuch, der kläglich scheitert. Doch heute sind alle eingeladen, mitzufeiern, es gibt kaum welche, die nicht verstehen, dass wir Weißen eine Ghana-Flagge tragen, alle anderen freuen sich.

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Am Independence Square angekommen, wird mir langsam das Ausmaß des heutigen Ereignisses bewusst, ganz Accra scheint sich hier eingefunden zu haben, der Platz ist umringt von Hunderttausenden von Menschen, auf Tribünen, auf Emporen, in einem unüberschaubaren Gewimmel um den Platz herum. Ein paar findige Ghanaer sind auf Bäume rund um den Platz herum geklettert, um wenigstens etwa zu sehen, mir bleibt unterdessen auch der kleinste Blick auf die Hauptattraktionen verwehrt. Doch auch, was drum herum passiert, kann sich sehen lassen, und so lasse ich mich im Gedränge treiben, habe ein wenig Angst um Kamera und Handy, aber es passiert nichts, alles bleibt friedlich. Sogar Polizei ist vertreten, das erste Polizeiauto, das ich in Ghana sehe, dazu einige Militärfahrzeuge, ein Polizeibus, Accra hat heute aufgefahren.

Die eigentliche Veranstaltung besteht aus Reden und Militärparaden, soweit ich das von außen erkennen konnte. Am Abend zuvor gab es bereits ein Feuerwerk, heute sprühen Flugzeuge die Nationalfarben in den Himmel; Ghana feiert sich selbst, als gäbe es kein Morgen. Es ist unglaublich heiß und staubig, auf meiner Kamera hat sich bereits eine gelbliche Staubschicht abgelagert, mein frisch gewaschenes (und dennoch nicht ganz sauber gewordenes) Hemd kann ich heute gleich wieder waschen.

Nach einigen Stunden am Independence Square wird es mir und den übrigen Volontären zu viel, wir treten die Reise nach Hause an, zu Fuß, denn alle Straßen um den Square herum sind gesperrt. Und der Menschenfluss will nicht abreißen, ersteinige Häuserblocks weiter wird es ein wenig überschaubarer, man kann wieder durchatmen.

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So feiert also Ghana. Noch ein paar mehr Bilder findet ihr im Foto-Bereich unter "Stadtleben".

Am Vorabend des Independence Day hatte ich unterdessen meine erste Begegnung mit einem DJ, das erste Mal überhaupt, dass ich einen gesehen habe, im "Oldtimers", einem kleinen Club, die hier allerdings eher "Spots" heißen. Und ich war ein wenig verblüfft über das Equipment, muss ich zugeben. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber er hatte tatsächlich einen Doppel-CD-Player und einen Mixer, beides vom mehr oder weniger namhaften Firmen, wenn auch in Deutschland eher verschrien. "Do you know house music?", frage ich ihn. "Yes", sagt er, "i have two cds with house music", fährt er fort, legt eine ein und lässt mich im Kopfhörer hören. Es ertönt "Aqua - Barbie Girl". Ich muss mich etwas zurückhalten, nicht zu lachen, und schlage vor, dass wir uns an einem Nachmittag mal im Oldtimers treffen und Musik austauschen. Er sagt zu, und das wird wahrscheinlich am Freitag stattfinden, wenn es denn klappt.





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