Circ! Circ! Circ!

» gepostet am Datum22.02.07 um Zeit17:08 Uhr

Rizzi war schon in den USA, genauer gesagt, in Kalifornien. Sogar in Schweden. Schweden gefällt ihm. Keine Kriminalität, sagt er. Gute Schulen. Gutes Sozialsystem. Nachdem er in Schweden war, ist er in die USA weitergezogen. Dort 15 Jahre Schule. Dann zurück nach Ghana, "settling down", meint er. Eine Frau geheiratet, zwei Kinder gezeugt, das eine 3 Jahre alt, das andere 14 Monate. Warum er nicht in den Staaten geblieben ist? "There was too much stress there", sagt er. Ihm gefällt das Leben in Ghana besser.

Rizzi ist Chef des "Angus"-Internetcafe in Ghana. Aber heute funktioniert das Internet nicht, also hat er sich auf einen Stuhl vor die Tür gesetzt und betrachtet sich das Leben draußen. Ab und zu grüßt er einen Passanten. Als ein Händler vorbeiläuft, ruft er "Hey, spring roles!", der Händler hält an, Geld wechselt den Besitzer, Rizzi erhält einige "spring roles", zu deutsch: Frühlingsrollen.

Ghana hat Probleme, keine Frage. Jeder sei geizig und egoistisch, meint Rizzi. Alle wollten nur verkaufen, sagt er, es gäbe niemanden, der etwas aufbauen wolle. Ghana hätte so viel Potenzial, Rohstoffe, doch niemand nutze sie. Die Regierung sei schuld, er spricht von "bad leaders", man müsse nur einmal Solar- oder Windenergie anzapfen. Doch in die Politik will er nicht gehen.

Nun bin ich schon eine Woche in Ghana, und langsam kenne ich die Abläufe und habe ein Bild davon, wie hier alles funktioniert. Ich will euch nun versuchen, alles etwas näherzubringen.
Hier im Praktikawelten-Haus wohne ich mit 17 anderen "Volunteers" zusammen, die in verschiedenen Schulen, Krankenhäusern oder Kindertagesstätten arbeiten. Es gibt eine Küche, einen Gemeinschaftsraum, mehrere Schlafzimmer. Ich schlafe mit zwei anderen Jungs zusammen, die Betten sind nicht unbedingt die bequemsten, aber es geht. Als Kopfkissen hält die Jacke aus Deutschland her, mit Kopfkissenbezug umwickelt. Die Dusche kennt nur eine Temperatur, die ist jedoch ganz angenehm.

Es gibt Strom, nur alle fünf Tage fällt er von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens aus. Denn an jedem Tag muss ein anderes Viertel von Accra auf Strom verzichten, für eine ständige Versorgung aller Viertel reicht der Strom nicht aus. Fließend Wasser gibt es, es ist allerdings nicht trinkbar, und auch das Wasser fällt von Zeit zu Zeit aus. Doch ein Eimer Wasser reicht zum Duschen auch vollkommen.

Man gewöhnt sich sehr schnell an das einfachere Leben, lernt Strom und Wasser zu schätzen, seit heute weiß ich auch, von welch Bequemlichkeit die Erfindung der Waschmaschine ist. Davon abgesehen macht sich das Fehlen von Strom und Wasser gar nicht so sehr bemerkbar, nur nachts ist es etwas schwierig, im Dunkeln zu duschen, die Kontaktlinsen rauszunehmen, aber es geht. Schließlich leben wir hier verhältnismäßig noch immer gehoben.

So weit zum häuslichen Leben. Die Stadt ist unheimlich überfüllt, überall sind Menschen, denn kaum einer arbeitet im Büro, fast die gesamte Bevölkerung ist auf der Straße und versucht, irgendetwas zu verkaufen. Und auf der Straße ist wirklich alles erhältlich. Was nicht auf dem Kopf transportiert und angepriesen wird, kann auf Märkten oder an Ständen am Straßenrand gekauft werden. Eins der wichtigsten Güter: Wasser. Es wird in kleinen Beuteln zu 500ml verkauft, meist gekühlt. Frauen laufen mit Schüsseln voller solcher Beutel umher und rufen "Pjuwota!", was so viel wie "pure water" heißt. Dieser Wasserbeutel wird dann an einer Ecke aufgebissen und der kühle Inhalt in den Mund gepresst. Eigentlich gibt es alles in diesen Beuteln: Eine Art Schokomilch ("Coco, coco!"), eine Art Joghurt ("Yogo, yogo!", schmeckt ähnlich wie Fruchtzwerge), Orangenlimonade. Sogar Alkohol gibt es in diesen Beuteln, auch wenn ich noch keine gesehen habe. Laut Rizzi ist aber von Whisky bis Gin alles erhältlich. Ein Beutel Wasser kostet 300 Cedi, was etwa 3 Cent entspricht. Ein Beutel mit Schokomilch kostet 1000 Cedi, also etwa 10 Cent. Eine warme Hauptmahlzeit, wie zum Beispiel frittierten Reis und Hühnchen, gibt es für einen Euro.

Das Haupt-Fortbewegungsmittel in Ghana ist das Tro-Tro. Ein Tro-Tro ist ein Kleinbus mit Platz für etwa 30 Personen. Wobei "Platz" vielleicht übertrieben ist, es passen 30 Personen rein, jeglicher Komfort ist dann allerdings dahin. Und Tro-Tros sind immer voll. Man kann sich ein Tro-Tro wie einen Linienbus vorstellen, allerdings ist alles etwas weniger strukturiert. Man muss wissen, an welcher Stelle welches Tro-Tro wohin fährt. Denn es gibt keine ausgeschilderten Haltestellen. In jedem Tro-Tro gibt es eine Art Schaffner, der dafür zuständig ist, dass jeder Fahrgast bezahlt und auch das Fahrtziel bekannt ist. Wenn ein Tro-Tro also zum Kwame-Nkrumah-Circle fährt (ein bekannter Kreisverkehr in Accra), ruft der Schaffner "Circ! Circ! Circ!" (klingt aber eher wie: "Serk! Serk! Serk!") aus dem fahrenden Tro-Tro. Will ein am Straßenrand stehender Passant dann mitfahren, macht er sich bemerkbar, indem er die Hand hebt oder einen Kreis beschreibt (für "Circle"). Dann hält das Tro-Tro am Straßenrand, der Passant steigt ein, bezahlt irgendwann einen Preis, der auch ständig wechselt, aber meistens zwischen 1500 und 3000 Cedi (also 15 und 30 Cent) liegt. Und weiter geht die Fahrt.

Beginnt ein Tro-Tro seine Fahrt erst und es sind noch keine Fahrgäste drin, wird gewartet, bis alles voll ist, ehe die Fahrt losgeht. Das bedeutet, niemand weiß genau, wann ein Tro-Tro losfährt, wie lang es braucht, wann es an welcher Station ankommt. Was auch am ghanaischen Verkehr liegt. Denn es fährt einfach jeder dorthin, wo er hin will. Auch bei Rot. Wenn die Kreuzung verstopft ist, fährt man eben trotzdem drauf. Straßenschilder sind selten, Ampeln gibt es schon eher, ausgeschilderte Parkplätze kaum, es wird geparkt, wo Platz ist. Der Vorteil am alltäglichen Stau: Während das Tro-Tro steht, können durchs geöffnete Tro-Tro-Fenster Waren aller Art gekauft werden. Händler aller Art laufen während dem Stau auf den Straßen umher und verkaufen Getränke, Speisen, Rasierklingen, Schmuck, Tücher, T-Shirts, Kosmetik.

Abgesehen vom Tro-Tro gibt es auch Linienbusse, die aber kaum genutzt werden. Taxis sind ebenfalls zahlreich vorhanden. Eigentlich kommt man in Accra von überall nach überall, und auch beinahe überall findet man jemanden, der etwas zu essen oder zu trinken auf dem Kopf transportiert. Ein Luxus, der mir in Deutschland fehlen wird. Vor allem die Getränkebeutel sind einfach genial.
Hoffentlich könnt ihr euch nun schon alles hier etwas besser vorstellen, ich werde versuchen, das Stadtleben auch noch mit Fotos weiter zu verdeutlichen, sobald sich die Gelegenheit ergibt. Im nächsten Eintrag gibt es dann einige Informationen zum ghanaischen Zeitungswesen. Vorausgesetzt, das Internet lässt mich nicht im Stich.





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